Mare Imbrium Apollo17 • Von Langeweile, Likes und Luftschlössern

Von Langeweile, Likes und Luftschlössern

Montag ist Kolumnentag. An dieser Stelle gibt es im contentIQ-Blog nicht jeden Montag, aber immer montags laut gedachte Gedanken rund um Web, IT, eCommerce oder digitale Bildung. #digitalnotizen
Warum es so wichtig ist zu wissen, für wen wir schreiben

Kennt ihr Seth Godin? Der US-Autor und Unternehmer haut in seinem Blog regelmäßig kurze Gedankensplitter raus, die häufig bemerkenswert viel Weisheit beinhalten. Einer seiner letzten lautete „And then we got bored“ („Und dann wurde uns langweilig“) und macht auf eindrucksvolle Weise klar, wie gering unsere Aufmerksamkeitsspanne geworden ist und wie schnell neue Errungenschaften uns selbstverständlich erscheinen. Und dann schlägt er einen eleganten Haken zu einem der zentralen Probleme von Unternehmen, Freiberuflern, Content Marketern und Social-Media-Teams: Ist es unter diesen Umständen wirklich ein Wunder, dass unsere tollen Facebook-Posts oder cleveren Tweets nicht mehr Likes generieren?

Wer nicht wahrgenommen wird, den gibt es auch nicht? #digitalnotizen Klick um zu Tweeten

Existenz durch Wahrnehmung

Wahrnehmung, neudeutsch auch Visibility, ist die neue Währung im Marketing-Alltag. Wer nicht wahrgenommen wird, den gibt es auch nicht. So scheint es. Denn wie, wenn nicht durch ständige Bestätigung von außen, können wir beweisen, dass wir überhaupt da sind? Und so hecheln wir Likes, Shares und Kommentaren hinterher, um unseren Kunden, der Öffentlichkeit, dem Chef und nicht zuletzt uns selbst zu beweisen, dass wir wahrgenommen werden. Dass wir wichtig sind. Dass wir existieren – in den Augen der Welt.

Denn so schön es ist, dass wir über Website, Facebook, Twitter, Instagram & Co. praktisch den ganzen Globus erreichen können – der Rest der Welt versucht auch genau das. Etwas mehr als eine Milliarde Websites gibt es aktuell – immerhin gut ein Viertel davon ist auch aktiv. Täglich werden knapp 5 Millionen Blogposts geschrieben und mehr als 650 Millionen Tweets abgesetzt – wenn man internetlivestats.com glauben darf. Wie soll man in dieser Masse nicht untergehen? Wenn noch nicht mal mehr eine Weltraummission zu großer Aufmerksamkeit führt (siehe Seth’s Blog).

Was also tun?

Meine Theorie: Wir müssen aufhören, Luftschlösser zu bauen. Natürlich meinen wir nicht jeden einzelnen Menschen auf dem Globus, wenn wir daran denken, dass wir theoretisch die ganze Welt erreichen können, aber wir schrauben unsere Erwartungen dennoch häufig deutlich höher als es realistisch ist. Das kann eigentlich nur schiefgehen, denn Erfolg kommt nicht von heute auf morgen, und so toll die technischen Möglichkeiten auch sind: Alle Menschen kann man ohnehin nicht erreichen. Und will man doch auch gar nicht, oder?

Wir müssen aufhören, Luftschlösser zu bauen. #contentstrategie #visibility #digitalnotizen Klick um zu Tweeten

Was habe ich als Anbieter für E-Mail-Marketing-Software davon, wenn ich mit meinen Tweets den Standesbeamten aus Wuppertal erreiche, der in seiner Freizeit Vogelstimmen sammelt? Gar nichts. Die ganze Welt zu erreichen, ist also gar nicht das Ziel. Noch nicht einmal für eine Weltraummission. Die Apollo-17-Mission, deren geringe öffentliche Wahrnehmung Seth Godin für seine durchaus berechtigte Analogie heranzieht, mag in der Öffentlichkeit keinen großen Aufruhr hinterlassen haben, für die Fachwelt spielt sie aber bis heute eine große Rolle. Und die hat im Dezember 1972 garantiert auch gebannt verfolgt, was auf dem Mond passiert – und sich im Anschluss intensiv mit den Ergebnissen beschäftigt.

Apollo-17-Astronaut Harrison Schmitt neben einem Felsen auf dem Mond

Wen interessiert die letzte Apollo-Mission? | Foto (ebenso wie Headerfoto): NASA [Public domain], via Wikimedia Commons

Zielgruppen statt Luftschlösser

Entscheidend ist also nicht, dass wir ständig Aktionen und Inhalte produzieren, die ein ganzes Land zu medialer Hyperaktivität verleiten. Entscheidend ist vielmehr, dass wir die Menschen erreichen, die sich für das interessieren, was wir tun. Die große Welt da draußen vergessen, und statt dessen kleine Ziele setzen und konkrete Zielgruppen ansprechen. Klingt selbstverständlich? Stimmt. Eigentlich. Die Realität sieht nämlich erschreckend häufig ganz anders aus, denn viel zu selten steht vor der Planung von Content- oder Social-Media-Strategien eine bewusste Definition von Zielgruppen oder Personas. Dabei lassen sich nur dann, wenn man weiß, wen man ansprechen will, auch Inhalte produzieren, die die entsprechende Zielgruppe wirklich interessieren. Und diese Inhalte sind die wichtigste, wenn auch noch nicht ausreichende Voraussetzung dafür, dass man von den potenziellen Kunden auch wahrgenommen wird.

Zielgruppen statt Luftschlösser. Klingt selbstverständlich - ist es aber selten. #digitalnotizen Klick um zu Tweeten

Klasse statt Masse

Solche Inhalte zu produzieren, braucht Zeit und kostet Geld. Dennoch sind wenige wirklich gute Inhalte deutlich mehr wert als jede Menge irgendwie zusammengebastelter Content nur um des Content willen. Das Credo „Klasse statt Masse“ lässt sich allerdings nicht nur auf die Inhalte anwenden – es gilt auch für die Leser. Denn wenn eure gezielt erstellten und positionierten Inhalte 5 Entscheider an den richtigen Stellen erreichen, ist das deutlich mehr wert als 500 beliebige Likes aus allen Branchen.

Wissen, für wen man schreibt. Dann klappt's auch mit den Likes. #digitalnotizen Klick um zu Tweeten

Übrigens: Kleine Ziele setzen muss nicht bedeuten, dass man nicht groß denken darf. Marktführer für die eigene Nische werden zu wollen, ist ein durchaus legitimes Ziel. Dafür braucht es aber sorgfältig zugespitzte Inhalte, die ins Schwarze treffen – und keine Gießkannenmethode.

Und die gute Nachricht ist: Wenn ihr am richtigen Ort zur richtigen Zeit das Richtige schreibt, postet und teilt, kommt das Interesse daran von ganz alleine. Dann schreibt ihr in einem Raumfahrtmagazin über die Apollo-17-Mission. Meint ihr wirklich, das interessiert dort niemanden?

KF/ciq

Headerfoto: NASA [Public domain], via Wikimedia Commons

Dr. Katja Flinzner
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